FELD-Forschung (2): Im Gespräch: Personen hinter Gela Ochsenherz

 

Hallo!

Ich, Mara, bin’s wieder. Im ersten Artikel der Serie FELD-Forschung (hier) habe ich dich eingeladen, gedanklich mit mir einen Ausflug nach Gänserndorf zu unternehmen und den Tagesablauf auf dem Betrieb Gela Ochsenherz kennenzulernen. Vielleicht kannst du dir nach dem ersten Artikel schon mehr unter einer solidarischen Landwirtschaft vorstellen. Aber wie sieht gelebte solidarische Landwirtschaft in der Praxis tatsächlich aus? Was unterscheidet sie von anderen Landwirtschaftsformen? Was hat sie mit Sinnstiftung zu tun? Und inwiefern kann sie Beitrag zur Realisierung der Sustainable Development Goals (SDGs) sein?

 

Interviews: Menschen vor Ort erzählen

Um all diese Fragen zu beantworten, habe ich mich an einem Donnerstag im Jänner wieder auf den Weg nach Gänserndorf zu Gela Ochsenherz begeben. Ich bin ja seit drei Jahren Mitglied und Erntehelferin – auch das erfährst du im ersten Artikel (hier). Diesmal bin ich aber nicht als Erntehelferin am Hof. Stattdessen möchte ich mich als Reporterin versuchen und Menschen am Gärtnerhof von Gela Ochsenherz ein paar Fragen stellen. Die Gedanken und Visionen zum Thema nachhaltige Entwicklung, will ich in diesem Artikel mit dir teilen. Wenn du jetzt weiterliest, bekommst du einen Einblick in mein Gespräch mit Fabiana und Luca, die fix am Hof angestellt sind und die Felder bewirtschaften. Danach kommt eine Ernteteilerin – also jemand, der wöchentlich Gemüse bezieht und Mitglied im Verein ist – zu Wort.

 

 

Gesundheit (SDG 3) und Bildung (SDG 4) bei Gela Ochsenherz

Als erstes habe ich also Fabiana und Luca vom Team im Jungpflanzentunnel besucht. Ich habe sie gebeten, sich ein oder zwei Sustainable Development Goals (SDGs) auszusuchen. Anhand dieser erklären sie, wie sie an ihrem Arbeitsplatz umgesetzt werden und welchen Stellenwert sie für den Verein und seine Mitglieder haben. Während Fabiana nebenbei Wannen mit Erde füllt und über die Frage nachdenkt merken wir alle drei, dass es gar nicht so einfach ist, sich für ein SDG zu entscheiden. Der Arbeitsalltag in einer solidarischen Landwirtschaft ist einfach so bunt und vielfältig. Nach einiger Überlegung entscheidet sich Fabiana für SDG 3 „Gesundheit“ und SDG 4 „Hochwertige Bildung“. Gesundheit deshalb, weil trotz starker körperlicher Belastung durch landwirtschaftliche Tätigkeiten darauf geachtet werde, den Körper so gut wie möglich zu schonen. Das sieht zum Beispiel dann so aus, dass man sich beim Tragen von schweren Sachen gegenseitig hilft, oder auch Wissen über rückenschonende Arbeitsmethoden teilt. Auch ihre Vision von nachhaltigem Wirtschaften und fairer Arbeit, basierend auf hochwertiger Aus- und Weiterbildung am Arbeitsplatz, wird für Fabiana am Gärtnerhof gelebt. Ihrer Erfahrung nach wird in der solidarischen Landwirtschaft Wissen großzügig weitergegeben, was die eigentliche Botschaft bzw. die zugrundeliegende Haltung von solidarischer Landwirtschaft somit wichtiger als den Verein selbst macht. Auch Menschen, die nur kurz bei Gela Ochsenherz arbeiten, bekommen so viel wie möglich vermittelt, um das Konzept weitertragen zu können.

 

Sonnige Aussichten und aufschlussreiche Gespräche

Überraschend kommt an diesem Tag die Sonne hervor. Es ist 10 Uhr und wir drei verlegen das Gespräch kurzfristig hinaus.  Bei Tee und Nüssen genießen wir die Sonnenstrahlen auf unserer Nasenspitze. Luca erzählt, dass für ihn persönlich das SDG 10 „Weniger Ungleichheiten“ einen der wichtigsten Aspekte der solidarischen Landwirtschaft abdeckt. Mithilfe des Selbsteinschätzungskonzepts (Anm.: Jede*r zahlt so viel für den Ernteteil, wie sie/er kann) bei der Bezahlung von Ernteteilen trägt der Verein ganz bewusst dazu bei, Ungleichheiten zu reduzieren – beispielsweise Ungleichheiten bei Einkommen, Herkunft oder sozialem Status in der Gesellschaft.  Dabei wird darauf geachtet, allen Menschen den gleichen Zugang zu qualitativ hochwertigen Lebensmitteln zu ermöglichen. Auch bei der Einstellung von neuen Mitarbeiter*innen am Hof spielen klassische Anforderungen weniger eine Rolle. Vielmehr zählen praktische Erfahrungen und der Wille, Neues zu Lernen. Somit trage, laut Luca, die solidarische Landwirtschaft zu einem inklusiveren Zugang zu Arbeitsplätzen bei.

 

Nachhaltigkeit und Resilienz in der Landwirtschaft

Je länger das Gespräch dauert, umso mehr merke ich, wie sehr die beiden, also Fabiana und Luca, für ihre Arbeit brennen. Was ich auch merke ist,  wie viel Zeit sie dafür investieren, ihren Arbeitsplatz mitzugestalten und den Verein an neue Anforderungen anzupassen. Das spiegelt sich auch in der Frage, nach der Zukunftstauglichkeit der solidarischen Landwirtschaft als alternative Form der Lebensmittelproduktion und des Konsums wider. Luca setzt die Begriffe „dynamisch“ und „zukunftsfähig“ miteinander in Verbindung. Was dynamisch und anpassungsfähig ist, ist für ihn auch zukunftsfähig. Veränderung ist ja bekanntlich die einzige Konstante im Universum. Das zeigt sich auch hier bei Gela Ochsenherz. Dynamische Veränderungen finden statt. An diesem Punkt müssen wir drei  ein bisschen lachen, da sich in den letzten Jahren wirklich so wahnsinnig viel am Hof getan hat. Da ist es gar nicht so leicht, den Überblick zu bewahren. Ein anderes Attribut, dass den Hof für Luca zukunftsfähig mache, ist die Unabhängigkeit von Saatgutkonzernen oder Saatgutlagern. Stichwort: Ernährungssouveränität. Auch für Fabiana sei ein gewisser Teil an Autarkie wichtig, um nachhaltig zu wirtschaften. Beide erklären mir, dass vor allem das Mitgliedschaftskonzept ein wichtiges Instrument sei, um Abhängigkeiten vom Markt zu vermeiden. So seien etwa Angebot und Nachfrage viel näher beieinander, Entscheidungen seien transparenter und es gäbe weniger Fehlkalkulationen. All diese Attribute würden die solidarische Landwirtschaft resilienter gegenüber Krisen machen, als konventionelle Landwirtschaft. Das hätte man vor allem während der Covid Pandemie gemerkt. Allmählich wird uns bewusst, dass wir schon viel länger reden, als ursprünglich gedacht. Die beiden müssen wieder zurück an die Arbeit. Bevor wir uns verabschieden, sagt Fabiana noch, dass sie sehr froh sei, hier arbeiten zu dürfen. Für sie ist Gela Ochsenherz ein Ort, an dem sich Arbeiten sinnvoll anfühlt und wo sich Menschen gegenseitig unterstützen. Ich kann sie verstehen. Es ist doch etwas anderes, sich körperlich zu betätigen und am Ende vom Tag die Früchte seiner Arbeit zu betrachten, als bei manch anderer Job, wo Aktivität und Ergebnis nicht so nahe beieinander liegen. Das macht Sinn.

 

Gedanken einer Ernteteilerin

Was für ein schönes Gespräch mit Fabiana und Luca! Ich bedanke mich bei den beiden und mache mich nun auf die Suche nach einer Person, die nicht am Hof arbeitet. Ich bin auf der Suche nach einer Ernteteilerin, also Konsumentin, die als Vereinsmitglied wöchentlich Gemüse bezieht. Ich bin gespannt, die Wahrnehmung über die besprochenen Themen von der anderen Seite zu erfahren. Bald finde ich Sophie, eine Ernteteiler*in. Sie ist bereit, ihre Gedanken und Erfahrungen mit mir zu teilen. Wir finden ein ruhiges Plätzchen, wo wir uns ungestört unterhalten können. Schon im Gehen möchte ich von ihr wissen, warum sie Mitglied bei der solidarischen Landwirtschaft ist. Ihre Antwort kommt schnell: Das Netzwerk aus so vielfältigen und interessanten Menschen, das Mithelfen am Hof als, schöne Abwechslung zum Alltag und natürlich das frische Gemüse zum Essen. Wie auch schon viele vom Team, nennt auch Sophie den sozialen und inklusiven Aspekt des Vereins als wichtiges Merkmal. Wie Luca, ist auch ihr das Selbsteinschätzungskonzept wichtig. Dadurch könnten nicht nur privilegierte Menschen Zugang zu hochwertigen Nahrungsmitteln haben, sondern alle. Anschließen frage ich Sophie, zur welchem SDGs solidarische Landwirtschaft maßgeblich beitragen würden. Sie antwortet: SDG 12 „Nachhaltige/r Konsum und Produktion“. Für sie würden das SDG 12 und das Ziel des Vereines quasi übereinstimmen. Ihre Vision laute, dass alle Menschen auf der Welt Zugang zu leistbaren und hochwertigen Lebensmitteln haben, die regional produziert würden. Laut Sophie müssen es nicht immer Massenbetriebe sein, um eine große Menge an Menschen zu versorgen. Kleinere Einheiten würden für sie eine bessere Qualität und höhere Transparenz bieten. Wir plaudern noch ein bisschen weiter. Das Thema scheint schier endlos zu sein. Nachmittags muss ich dann aber doch los, um meinen Zug nach Wien zu erwischen. Dankbar und inspiriert verabschiede mich von allen Menschen am Hof und mache mich auf den Weg.

 

Eindruck am Ende des Tages

Mein Fazit vom heutigen Tag: Gela Ochsenherz steht für sinnstiftende Arbeit, inklusiven Zugang zu hochwertigen Produkten, Resilienz gegenüber Krisen und für ein lebendiges Netzwerk mit spannenden und interessanten Menschen. In meinen Ohren klingt das eindeutig nach einem vielversprechenden Zukunftsrezept!

 

Konnex zu den SDGs (Auswahl):

  • SDG 2: „Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern“
    • Unterziel 2.3:  „Bis 2030 die landwirtschaftliche Produktivität und die Einkommen von kleinen Nahrungsmittelproduzenten, insbesondere von Frauen, Angehörigen indigener Völker, landwirtschaftlichen Familienbetrieben, Weidetierhaltern und Fischern, verdoppeln, unter anderem durch den sicheren und gleichberechtigten Zugang zu Grund und Boden, anderen Produktionsressourcen und Betriebsmitteln, Wissen, Finanzdienstleistungen, Märkten sowie Möglichkeiten für Wertschöpfung und außerlandwirtschaftliche Beschäftigung“
    • Unterziel 2.4: „Bis 2030 die Nachhaltigkeit der Systeme der Nahrungsmittelproduktion sicherstellen und resiliente landwirtschaftliche Methoden anwenden, die die Produktivität und den Ertrag steigern, zur Erhaltung der Ökosysteme beitragen, die Anpassungsfähigkeit an Klimaänderungen, extreme Wetterereignisse, Dürren, Überschwemmungen und andere Katastrophen erhöhen und die Flächen- und Bodenqualität schrittweise verbessern“
    • Unterziel 2.5: „Bis 2020 die genetische Vielfalt von Saatgut, Kulturpflanzen sowie Nutz- und Haustieren und ihren wildlebenden Artverwandten bewahren, unter anderem durch gut verwaltete und diversifizierte Saatgut- und Pflanzenbanken auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene, und den Zugang zu den Vorteilen aus der Nutzung der genetischen Ressourcen und des damit verbundenen traditionellen Wissens sowie die ausgewogene und gerechte Aufteilung dieser Vorteile fördern, wie auf internationaler Ebene vereinbart“
  • SDG 12: „Nachhaltige Konsum und Produktionsweisen“
    • 12.2: „Bis 2030 die nachhaltige Bewirtschaftung und effiziente Nutzung der natürlichen Ressourcen erreichen“

 

 

Hinweis: Die Serie "FELD-Forschung" ist eine Aktion des Instituts für Umwelt, Friede und Entwicklung (IUFE) für den SDG-Nachhaltigkeitsblog www.zukunftsrezepte.at. In drei Teilen erkundet das IUFE-Team die solidarische Landwirtschaft Gela Ochsenherz in Gänserndorf (Niederösterreich). Beiträge der solidarischen Landwirtschaft zu der Erreichung von SDGs oder Gedanken und Visionen von Mitgliedern kannst du hier nachlesen: