Zukunftsrezept "Urbane Landwirtschaft"

Journalistin, Bloggerin und Social Media-Strategin Barbara Kanzian über Urban Farming und "über_Land".

Derzeit leben sieben Milliarden Menschen auf diesem Planeten. Über die Hälfte von ihnen wohnt in Städten. Tendenz: weiter steigend. Wie kann die Weltbevölkerung in Zukunft ernährt werden? Landwirtschaftliche Zukunftsrezepte sind gefragt, die nicht nur satt machen, sondern auch Transport- und Energiekosten senken. 


Die steigenden Energiepreise haben die weltweite Krise der konventionellen Landwirtschaft verschärft. Es besteht zwar auf den Weltmärkten ein Überschuss an Nahrungsmitteln, doch die Preise dafür sind eng mit den Energiepreisen verbunden: Getreide wird als Brennmaterial vermarktet, Mais und Zuckerrohr sind als Energiepflanzen beliebt. Auch Entwicklungsländer, die auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen sind, drängen in den Energiemarkt. Mit fatalen Folgen: Immer weniger fruchtbare Böden und ein bedrohlicher Rückgang der Wasserverfügbarkeit führen u.a. dazu, dass rund eine Milliarde Menschen an ständigem Hunger leiden.


über_Land präsentiert Konzepte von Morgen


Diese Entwicklung vor wenigen Jahren ließ mich im Jahr 2011 die Online-Plattform über_Land gründen. Sie präsentiert Innovationen und Alternativen zur konventionellen Landwirtschaft mit dem Schwerpunkt auf Urban Farming. Ob es so wie in Detroit der Mangel an qualitätsvollen Lebensmitteln war (Anmerkung: Die für ihre Autoproduktion bekannte US-Stadt erlebte seit den 1970er Jahren einen wirtschaftlichen Niedergang; daran gekoppelt entwickelte sich Detroit zu einer food desert, einer Lebensmittelwüste), der die Menschen in Eigeninitiativen bewog, Stadtgärten anzulegen, um frisches Gemüse zu ernten. Oder in Havanna, der Hauptstadt Kubas, wo US-Embargo und der Zerfall der Sowjetunion den Import von Lebensmitteln und landwirtschaftlichen Gütern erschwerten. Mit den einfachsten Methoden begannen die Kubaner in der Stadt auf renaturierten Mülldeponien oder Brachen ökologischen Landbau zu betreiben. Heute sind es bereits rund 35.000 Hektar Land, die für urbane Landwirtschaft genutzt werden.


*** Aktuelles Video "Urban Gardening: Nicht nur was für Bobos" ***


Größter landwirtschaftlicher Betrieb auf einem Dach


Die landwirtschaftliche Produktion wieder in die Stadt zu holen, habe ich auf der Farm Brooklyn Grange in New York City gesehen (hier zu lesen). Es ist der größte landwirtschaftliche Betrieb der Welt, der jemals auf ein Dach gesetzt wurde. Auf 6.000 Quadratmetern wird hier seit dem Jahr 2010 Gemüse angebaut, Hühner gehalten und Bienenstöcke gepflegt. Beliefert werden naheliegende Restaurants, es gibt Abholkisten und was an Produkten übrigbleibt, wird auf Märkten verkauft. Diese Farm erfüllt nicht nur ökologische Aspekte (die Reduktion von Transport- und Energiekosten), sondern sie bringt dem Städter auch wieder viel altes Wissen zurück z. B. über Pflanzen, die Pflege, die Verarbeitungsmöglichkeiten, die Konservierung etc..

 

Fische und Gemüse frisch vom Dach


Wenn auch auf einem städtischen Dach, so verfolgen die UrbanFarmers in Basel ein völlig anderes Konzept: Hier entstand auf einer 250 Quadratmeter großen Fläche eine Aquaponic-Farm (hier zu lesen). Fische und Gemüse werden in einem in-sich-geschlossenen-System gezüchtet. Das verunreinigte, aber nährstoffreiche Wasser der Barsche bewässert die Pflanzen, die wiederum das Wasser reinigen. Diese Farm wirft zwar noch keinen Gewinn ab, dafür wäre eine Mindestgröße von 1000 Quadratmetern notwendig, dennoch ist pro Jahr eine Ernte von 800 Kilogramm Fisch und fünf Tonnen Gemüse sicher. Umweltbewusst werden die Lebensmittel mit E-Bike und Kühlanhänger an ausgewählte Lokale in Basel ausgeliefert.


Pilzzucht in Wiener Wohnhaus


Wie eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft in der urbanen Landwirtschaft aussehen kann, demonstrieren die zwei Jungunternehmer Manuel Bornbaum und Florian Hofer (hier zu lesen). Ihre Pilzzucht im Keller eines Wiener Wohnhauses gelegen, basiert auf Kaffeesud – Abfall, der normalerweise weggeworfen wird. Darauf züchten sie Austernpilze, die nach einigen Wochen geerntet und per Lastenfahrrad an gastronomische Partnerbetriebe verkauft werden.

 

Weltweit unterwegs 


Ich habe seit Bestehen von über_Land zahlreiche Urban Farming-Projekte in anderen Teilen der Welt besucht. Aus den Ergebnissen der Gespräche mit den Betreibern und Nutzern skizziere ich auf über_Land die Zukunft der urbanen Landwirtschaft, die eben erst begonnen hat. Ob auf dem Dach, in einer vertikalen Farm oder im Keller – die Herausforderungen dieser neuen Landwirtschaft sind immer die gleichen: Die wachsende Bevölkerung in den Städten mit frischen Lebensmitteln zu leistbaren Preisen zu versorgen, Müll zu vermeiden, Ressourcen und Umwelt zu schonen.

 

 

Zur Person: Barbara Kanzian ist Journalistin, Bloggerin und Social Media-Strategin. Sie gründete u.a. die Plattform über_Land (www.ueber-land.eu), hält Vorträge zum Thema Urban Farming und Nachhaltigkeit und publiziert in Print- und Online-Medien. Darüber hinaus begleitet sie seit zwei Jahren redaktionell den Blog www.urbanmining.at, in dem es um den bewussten Umgang mit Ressourcen geht.