Naturschutz 2.0 und die urbane Artenvielfalt

Internationale Expertin für Naturschutz Katharina Lapin über vielfältige Tier- und Pflanzenwelten in Städten.

„Wer in der Stadt aufwächst, hat nicht viel mit der Natur am Hut“, heißt es oft. Dabei sind wir in der Stadt von ihr überall umgeben. Lange Zeit wurde die Stadt als lebensfeindlich oder naturfern betrachtet, bis sich in den 1970ern und frühen 80ern die ersten Pioniere mit der Stadt als Lebensraum für wilde Tiere und Pflanzen beschäftigten. Die ersten Studien zeigten zunächst, dass zahlrieche Vogelarten die Stadt als ihr Zuhause nennen. Bald darauf untersuchte man die Vielfalt der Insekten, Marder, Nagetiere, Schlangen, Füchse, Bäume, Bienen, Spinnen, Gräser, Würmer, Pilze, Flechten und vieler weitere Lebensorganismen.

 

Artenvielfalt in Städten

Heute können Stadtökologen beweisen, dass die Mehrheit der Vogel- und Pflanzenarten in urbanen Regionen dieser Welt leben. Von 10.052 bekannten Vogelarten, leben 2.041 (20%) in unseren Städten. Von weltweit 279.107 bekannten Gefäßpflanzenarten, sind 5% in Städten beheimatet. Dabei handelt es sich nicht nur um „kosmopolitische“ Arten, wie das einjährige Rispengras (Poa annua), dass aus nahezu jeder Pflastersteinritze wachsen kann, sondern auch um heimische und seltene Arten. Die Arten besiedeln von Menschen erschaffene urbane Lebensräume, die unter dem engl. Fachbegriff „novel ecosystems“ zusammengefasst werden.

 

Nicht nur mit planerischen Konzepten, sondern auch mit kleinen Aufmerksamkeiten kann jede Person den urbanen Lebensraum für wilde Tier- und Pflanzenarte lebenswert machen. Trotz der Vielzahl an Arten, die in der Stadt leben, zählt die „Urbanisierung“, neben dem Klimawandel und der landwirtschaftlichen Intensivierung zu den größten Bedrohungen für die globale Biodiversität. Innovative Konzepte und kreative Ideen, zeigen, dass man die Natur in der Stadt fördern kann.

 

Die "Gstädt`n“ ist voller Artenreichtum

Ruderale Lebensräume, wie die „Gstädt´n“, weisen oftmals eine hohe Zahl an wilden Insekten (die sogar Schädlinge fressen) und wilden Pflanzen auf, die die Artenvielfalt einer Stadt erhöhen. Es lohnt sich solche scheinbar nutzlosen Flächen für einige Minuten anzusehen, um urbane Biodiversität zu beobachten. Wer das Glück hat, eine Terrasse oder einen Garten zu besitzen, kann sich überlegen, ob nicht ein Eck davon wild zu besiedeln lassen ist.

 

Begrünte Architektur anpassen

Ein Beispiel: In St. Gallen ist es gelungen, heimische Orchideen, die als sehr anspruchsvoll gelten, bei Dachbegrünungen zu integrieren. Extensive Dachbegrünungen können zum städtischen Artenreichtum beitragen, wenn man das vermeintliche Unkraut nicht entfernt. Erste Studien zur Bedeutung der Dächer Wiens sind zurzeit im Gange.

 

Bitte keine invasiven Neophyten pflanzen

Einige wenige Arten werden vom Menschen verbreitet und vermehren sich so stark, dass die in der freien Wildbahn massive ökologische Schäden anrichten. Zu diesen Arten zählen zum Beispiel das drüßige Springkraut (Impatiens glandulifera) oder die Goldrute (Solidago gigantea). Einige Arten verursachen sogar so schlimme Schäden, dass sie gesetzlich verboten sind.

Wer sein Balkonkisterl bepflanzt, sollte sich daher vergewissern, was man da eigentlich pflanzt. Hilfreich ist es nach den lateinischen Artennamen von Etikett in Datenbanken, wie www.europe-aliens.org oder www.griis.org zu suchen.

  

Partizipation – ein wichtiges Element im urbanen Naturschutz

Basierend auf aktuellen Daten über die Tier- und Pflanzenwelt einer Stadt kann man nicht nur Forschungsfragen beantworten, sondern auch bessere Naturschutz-Maßnahmen setzten. Viele partizipative Programme und Aktionen sind in letzter Zeit in den Städten Europas entstanden:

  • Bei www.naturgucker.at kann man den lokalen Naturschutzinstitutionen direkt Beobachtungen melden.
  • Das Citizen Sience Projekt RoadKill (http://roadkill.at) fordert dazu auf via Smartphone im Straßenverkehr zu Tode gekommenen Tiere zu registrieren, um die Zahl dieser zu reduzieren.

Dies ist nur eine Auswahl an schier unendlich scheinenden Möglichkeiten, wie man die Natur in der Stadt schützen und urbane Räume für Tiere, Pflanzen und letztendlich für uns Menschen lebenswert zu gestalten. Sowohl die naturschutzfachliche Forschung als auch die Stadtentwicklung stecken erst in den Kinderschuhen. Ich bin überzeugt davon, dass sich die Beteiligung von jedem einzelnen Stadtbewohner  positiv auf die Natur und Erhöhung der Biodiversität in der Stadt auswirken.

 

Literatur und weiterführende Information

  • Aronson, M. F., La Sorte, F. A., Nilon, C. H., Katti, M., Goddard, M. A., Lepczyk, C. A., ... & Dobbs, C. (2014, April). A global analysis of the impacts of urbanization on bird and plant diversity reveals key anthropogenic drivers. In Proc. R. Soc. B (Vol. 281, No. 1780, p. 20133330). The Royal Society.
    Kühn, I., Brandl, R., & Klotz, S. (2004). The flora of German cities is naturally species rich. Evolutionary ecology research, 6(5), 749-764.

 

Zur Person: Dr. Katharina Lapin studierte Botanik und Landschaftsplanung an der Universität für Bodenkultur in Wien. Sie ist Expertin für Naturschutz und Invasionsbiologie. Zur Zeit arbeitet sie für die IUCN (international union for conservation of Nature) in Cambridge (UK) und am Forschungsprojekt "wild roofs Vienna" in Wien.