Nachhaltig Reisen – ein Gegensatz oder eine Chance?

Tourismusexpertin Anna Kodek über Nachhaltigkeit und verantwortungsvolles Reisen.

 

Gibt es nachhaltiges Reisen?

Nachhaltigkeit ist neben vielen anderen Bereichen, langsam aber doch, auch beim Reisen in der Bevölkerung angekommen. Dass 2017 das Jahr des nachhaltigen Tourismus war, ist an den meisten von uns spurlos vorübergegangen, genauso wie eine Studie von Leonard Röser (UNI Graz), die 2019 veröffentlicht wurde. Weniger als ein Drittel der Befragten wussten nach dieser Studie überhaupt, was nachhaltiges Reisen bedeutet. Aufgrund der zurzeit laufenden medialen Berichterstattung begrenzen viele nachhaltiges Reisen allein auf die An- und Abreise zum Urlaubsort. Fakt ist, die nachhaltigste Reise ist die, die man nicht antritt, oder wie es Frau Sahdeva in einem Artikel auf den Punkt gebracht hat: „Nachhaltiges Reisen gibt es ebenso wenig wie es ein nachhaltiges Auto gibt“. Dieser Tatsache müssen wir ins Auge blicken. ABER, was es gibt, ist eine nachhaltigere und faire Tourismusentwicklung, und da Reisen bildet, verbindet und bereichert, ist es schade, darauf zu verzichten.

 

Verantwortungsvoller Tourismus auf Augenhöhe

In diesem Artikel will ich erklären, was ein verantwortungsvoller Tourismus auf Augenhöhe bedeutet und dass dieser auf den zweiten Blick nichts mit Verzicht zu tun hat, sondern einer Bereicherung der eigenen Lebensqualität darstellen kann. Die UN-Welttourismusorganisation (UNWTO) hat dafür eine klare Definition erarbeitet: „Tourismus, der den derzeitigen und zukünftigen ökonomischen, sozio-kulturellen und ökologischen Auswirkungen umfassend Rechnung trägt und dabei die Bedürfnisse der Gäste, der Tourismuswirtschaft, der Umwelt sowie der heimischen Bevölkerung berücksichtigt.“ Was bedeutet das konkret?

 

3 Hauptsäulen einer nachhaltigen Tourismusentwicklung

Die erste der drei Hauptsäulen ist die Ökonomie – darunter versteht man, dass die Wertschöpfung im Reiseland bleiben soll. Möglichst viel von meinem hartverdienten Geld soll der lokalen Wirtschaft des Reiselandes zu Gute kommen und nicht in den Kanälen von internationalen Investoren verschwinden. Ich entscheide, welche Form des Tourismus ich fördern möchte, indem ich inhabergeführte oder nachhaltig zertifizierte Unterkünfte wähle, bei lokalen Produzenten einkaufe, in landestypische Restaurants essen gehe und eine regionale, saisonale und lokale Küche ausprobiere. Mein Schnitzel habe ich das restliche Jahr zu Hause.

 

Die zweite Hauptsäule ist die Ökologie – Reduzierung des Ressourcenverbrauchs, Verminderung der Treibhausgasemissionen oder Vermeidung von negativen Auswirkungen auf die Biodiversität sind nur einige Beispiele. In der Praxis ist in erster Linie damit gemeint, dass man wo immer es geht mit öffentlichen Verkehrsmittel anreist oder zumindest in einem voll besetzten PKW. Muss man bei weit entfernten Destinationen mit dem Flugzeug anreisen, sollte man länger vor Ort bleiben und die beiden anderen Säulen umso mehr berücksichtigen. Probieren Sie vor Ort nicht alltägliche Transportmöglichkeiten wie Kajak, Lama und Co aus, statt mit Quad und Helikopter unterwegs zu sein. Je langsamer Sie unterwegs sind, desto mehr nehmen Sie Ihre Umgebung auch wahr. Aber auch Kleinigkeiten, wie der nicht alltägliche Handtuchwechsel schonen ebenfalls die Ressourcen.

 

Last but not least, die dritte Hauptsäule sind soziale Gegebenheiten. In diese Sparte gehört unter anderem, dass die einheimische Bevölkerung ein Mitspracherecht beim Tourismus haben soll. Werden in der Destination Menschenrechte eingehalten, Kinder vor sexuelle Ausbeutung beschützt und wie fair werden Mitarbeiter im Tourismus behandelt und bezahlt? Nicht der Gast allein steht im Mittelpunkt, genauso wichtig sind die Bedürfnisse der heimischen Bevölkerung und der Umwelt. Denn nur wenn die ortsansässige Bevölkerung den Tourismus nicht als Last empfindet, können unvergessliche Urlaubserlebnisse und authentische Begegnungen geschaffen werden.

 

Als Beispiele möchte ich folgende negative und positive Entwicklungen im Tourismus aufzeigen:

  • Negative Entwicklungen: Ökosysteme werden stärker belastet * Verbrauch von mehr Ressourcen (z.B. Wasser) * Billig-Produkte aus intensiver Landwirtschaft * Landschaftszerstörung * Vertreibung von Indigenen zugunsten von Tourismusprojekten * Müllproblem * Prekäre Arbeitsbedingungen, unbezahlte Überstunden, befristete Arbeitsverträge * Kinderarbeit, (Kinder-)Sextourismus
  • Positive Entwicklungen: Alpine Pearls, Bergsteigerdörfer * Regenwassernutzung, Meerwaasserentsalzung durch Solarenergie * Slow Food, Bioprodukte * Sanfter Tourismus * Indigenes Volk der Kuna auf den San Blas Inseln (autonomes Gebiet vor Panama) * Verbot und Vermeidung von Einwegplastig etc. * Faire Bezahlungen, Arbeitsbedingungen etc. (www.fair-job-hotels.de) * www.nicht-wegsehen.at der Kinderschutzorganisation ECPAT 

 

Reisen mit allen Sinnen

Reisen, die möglichst diesen Kriterien entsprechen, fühlen sich nicht nur unbeschreiblich gut an, sie bedeuten auch eine Rückbesinnung auf die wirklich wichtigen Faktoren im Leben in unserer schnellen und hektischen Welt und sind eine Win-win Situation für Sie als Gast sowie der lokalen Wirtschaft. Zeit mit Freunden und Familie bewusst wahrzunehmen und zu verbringen schweißt wieder zusammen. Die Natur- oder Kulturschönheiten auf sich wirken lassen – weniger ist oft mehr! Die schönsten Reiseerinnerungen gehen meist auf Begegnungen mit Menschen oder sonstige unverhoffte Entdeckungen oder Erlebnisse zurück und nicht auf die meist ohnehin überlaufenen Hauptattraktionen. Reisen ist nicht bloß ein Ortswechsel, wo dann erst wieder alles so sein soll wie zu Hause. Seien Sie offen für Ungewohntes und Neues, bleiben Sie gelassen und binden Sie die An- und Abreise mit in Ihren Urlaub ein. Feel the difference!

 

Webinar "Verantwortungsvolles Reisen"

Weitere Informationen teile ich in meinem aktuellen Webinar "Verantwortungsvolles Reisen". Ich würde mich sehr über Ihren Besuch (hier) freuen!

 

Zur Person: Anna Kodek beschäftigt sich intensiv mit einer nachhaltigen Tourismusentwicklung, hat viele Jahre in der Reisebranche gearbeitet, einen Kurs über Nachhaltigkeit im Tourismus abgeschlossen und will durch Vorträge oder ihre monatlich erscheinenden Reise-Inspirationen mehr Bewusstsein unter der Bevölkerung für diese unvergleichliche und authentische Art des Reisens schaffen. Homepage: www.verantwortungsvoll-reisen.com. Auf YouTube (hier) können Sie eine Kurzfassung ihres Vortrages über ein verantwortungsvolleres Reisen sehen (Webinar). Den Zusammenhang zwischen Tourismus und den Sustainable Development Goals (SDGs) erklärt Anna Kodek in einem Blog-Gastbeitrag von SDG Watch (hier)