Die Blockchain-Revolution kommt aus dem Süden

Der EZA-Praktiker, Universitätslektor und Autor Friedbert Ottacher über Blockchain in Äthiopien und Tansania.

 

Während die Preisrallye von Bitcoin und mittlerweile auch Ethereum die Wirtschaftsseiten der hiesigen Tageszeitungen füllt, findet die wirtschaftspolitische und gesellschaftliche Revolution, die die Blockchaintechnologie bereithält, bereits statt. Allerdings nicht bei uns in den Industrieländern, sondern in den Entwicklungs- und Schwellenländern.

 

Äthiopien als Pionierland bei digitalen Identitätsnachweisen

Die Entwickler von Cardano, eines der bedeutendsten sogenannten Altcoins, haben Anfang Mai gemeinsam mit dem äthiopischen Bildungsminister die weltweit größte praktische Anwendung der Blockchaintechnologie verkündet. In Äthiopien werden 5 Millionen SchülerInnen der Abschlussklassen sowie alle StudentInnen des Landes mit digitalen Identitätsnachweisen ausgestattet. Ihre IDs werden auf der Cardano-Blockchain dezentral gespeichert und dokumentieren Noten und Abschlüsse. Auf dieser digitalen ID sollen in weiterer Folge Landbesitz, Kreditwürdigkeit und die Wahlregistrierung sicher und unveränderbar gespeichert werden. Die Zugangsdaten für die digitalen IDs bleiben dabei in den Händen der Betroffenen. Sie alleine kontrollieren wer und wann Zugang zu den Informationen bekommt. In der westlichen Welt ist unsere Identität und damit der Zugang zu öffentlichen und privaten Leistungen im Reisepass, auf der e-card oder der Kreditkarte festgehalten. Ganz anders verhält es sich in den Entwicklungsländern, denn dort darf sich jemand schon glücklich schätzen, wer eine Geburtsurkunde sein Eigen nennt. Daher rollt Cardano seine Praxisanwendungen nicht in den technisch saturierten Ländern aus, sondern dort, wo der Nutzen und damit die Wirkung der Innovation am größten ist.

 

Digitalisierung als zentrales Ziel im staatlichen Entwicklungsplan Äthiopiens

Warum gerade Äthiopien als Pionierland fungiert hat viele Gründe: der Premierminister hat Kryptographie studiert. Er machte Digitalisierung zu einem zentralen Ziel im staatlichen Entwicklungsplan. Gesetzliche Regulierungen gibt es kaum. Und die Bevölkerung ist jung und bereit für Innovation, wie sich in der rasanten Verbreitung von mobilem Geld in Ostafrika gezeigt hat. Darüber hinaus haben die Universitäten Südafrikas, Kenias und Äthiopiens in den letzten Jahren eine kritische Masse an IT-Studierenden hervorgebracht, die sich als Entwickler für neue Blockchain Start-Ups betätigen. Blockchainprojekte wie Cardano, Ethereum oder Polkadot arbeiten mit Open Source Technologie. So ist das White Paper, die Programmcodes, die Anzahl der Wallets und die Verteilung der Tokens öffentlich und somit transparent. Jeder kann sich daher an der Weiterentwicklung beteiligen und auf die Blockchain seine eigene Anwendungen aufsetzen.

 

Blockchain-Pionierprojekt in Tansania 

Auch in Tansania hat Cardano vor kurzem eine Pionierprojekt gestartet. Dabei werden solarbetriebene Netzknoten aufgebaut, die Internetzugang auch in entlegenen Regionen günstig und stabil ermöglichen sollen. Die Nutzung des Netzes wird über die Blockchain gesteuert und abgerechnet. Mittelfristig sollen über diese Blockchain nicht nur Übertragungskapazitäten, sondern auch dezentrale Finanzdienstleistungen angeboten werden.

 

Weitere Anwendungsgebiete der Blockchain-Technologie

In den Augen des Gründers von Cardano, Charles Hoskinson, ist das erst der Anfang. Der studierte Mathematiker ist trotz seiner erst 34 Jahre ein Urgestein der Kryptoszene, war ein Mitbegründer der zweitgrößten Kryptowährung Ethereum und ist überzeugt, dass die Blockchaintechnologie ähnlich disruptiv ist wie seinerzeit das Internet oder das Smartphone. Die Anwendungsgebiete sind groß: Remittances, also die globalen Rücküberweisungen der Diaspora an ihre Familien von insgesamt 500 Milliarden USD pro Jahr, sollen spesenfrei über Kryptowährungen getätigt werden. Kredite sollen über dezentrale, blockchainbasierte Apps mit geringen Zinsen von „peer to peer“ verliehen werden. Wenn man bedenkt, dass heute Rücküberweisungen, die meist in Kleinbeträgen unter Euro 200 getätigt werden, mit 5-10% Spesen zu Buche schlagen und Bankkredite für den Großteil der Bevölkerung in Afrika nicht zugänglich oder unerschwinglich sind, lässt sich das Potential von Blockchainanwendungen erahnen. Dafür braucht es aber erfolgreiche Anwendungsfälle, Skalierbarkeit und Netzwerkeffekte. All das erhofft man sich von den beiden Pionierprojekten in Äthiopien und Tansania.

 

Kryptowährungen auf dem Vormarsch

Dass Kryptowährungen von Investoren nicht mehr belächelt, sondern zunehmend ernst genommen werden, zeigt die Preisentwicklung und die Markkapitalisierung der Kryptowährungen. Cardano liegt auf Platz 7, hat seit Jahresbeginn um 800% zugelegt und mittlerweile eine Marktkapitalisierung von 40 Milliarden Euro, Tendenz steigend. Wenn die ersten großen Anwendungsfälle wie in Äthiopien und Tansania erfolgreich sind wird die Technologie ob ihrer raschen Skalierbarkeit nicht mehr aufzuhalten sein – und wohl auch in unser Leben Einzug halten.

 

Zur Person: Friedbert Ottacher ist seit über 20 Jahren in der Entwicklungszusammenarbeit aktiv. Er ist als Programmkoordinator für Uganda und Äthiopien sowie freiberuflich als Trainer, Universitätslektor, Key Note Speaker und Autor tätig. Seit 2017 beschäftigt er sich mit der Blockchaintechnologie und deren Potential zur Lösung von Problemen im globalen Süden. Kontakt: www.ottacher.at