Bausteine der Inklusion: Vielfalt, Gleichheit, Teilhabe.

Teil 1 der Serie „Wheelday: mal nachgedacht“.

Bildquelle: Quang Nguyen Vinh, Pexels.

 

Hey, ich bin Josefine!

In dieser Serie widme ich mich Aspekten der Inklusion, Gleichstellung und Teilhabe. Am 5. Mai war der Europäische Aktionstag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung – mittlerweile zum 30. Mal. Anlässlich der IUFE-Initiative „Wheelday. Entwicklung bewegt!“ mit Jugend-Wettbewerb 2022 (Details und Einreichung: hier) zur Förderung von Inklusion und Barrierefreiheit teile ich mit dir meine Gedanken in drei Teilen. Dieser Artikel ist Teil 1.

 

Integration und Inklusion: Dasselbe?

„Inklusion und Integration...ist das nicht eh dasselbe?“, fragt mich meine Familie ab und an. „Nicht ganz“, antworte ich dann. In diesem Artikel beleuchte ich jene Aspekte, die ich üblicherweise bei meiner Familie am Essenstisch zum Besten gebe. Sei bitte unbesorgt, es wird nicht darum gehen „nichts mehr sagen zu dürfen“ oder Wortklauberei als „political correctness“ zu zelebrieren.

 

Werte verschieden. Rechte die gleichen.

Menschen sind unterschiedlich. Ihre Werte, Prioritäten und Lebensziele sind verschieden. Du liest diesen Blog, fährst regelmäßig mit dem Fahrrad und freust dich womöglich jede Woche über dein Biokisterl. Deine Nachbarin beschäftigt sich seltener mit Themen der Nachhaltigkeit. Sie fährt kurze Wegstrecken mit ihrem SUV und fliegt zweimal im Jahr in die Ferne. Dass du und deine Nachbarin die gleichen Rechte in der Gesellschaft haben, steht außer Frage - obwohl sich die Lebensrealitäten gänzlich unterscheiden.

 

Gleichberechtigung. Nicht Gleichmachen.

Wenn aber Lebensrealitäten zu unterschiedlich werden, schwindet das Verständnis füreinander und die Selbstverständlichkeit, dass alle von uns die gleichen Rechten haben (sollten). Gleiche Rechte zu haben, bedeutet aber nicht völlig gleich zu sein. In meinen Augen macht es keinen Sinn, alle Menschen als gleich zu betrachten. Menschen sind divers. Das ist anzuerkennen.

 

Unterschiede erkennen. Menschen nicht ausschließen.

Ein Beispiel: Michael ist von der Brust abwärts gelähmt und sitzt im Rollstuhl. Tarek nicht. Beide Männer sollten selbstverständlich wählen können, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, sich im Arbeitsleben zu entfalten und ihr Leben selbstbestimmt leben zu dürfen. Michael und Tarek entscheiden sich, Profisportler zu werden. Trotzdem werden sie bei Olympia niemals direkt gegeneinander antreten. Dennoch sind beide wertvolle Menschen der Gesellschaft.

 

Ein anderes Beispiel: Svetlana und Melina arbeiten beide im Lager eines Versandhauses. Svetlana kann aufgrund ihrer Lernbehinderung kaum Lesen und Schreiben. Melina hat keine Beeinträchtigung. Beide Frauen sollten selbstverständlich denselben Anspruch und gleiche Rechte auf faire Arbeitszeiten, Urlaubsgeld und eine Krankenversicherung haben. Trotzdem wird Melina im Arbeitsalltag andere Aufgaben übernehmen, als Svetlana. Dennoch sind beide wertvolle Menschen der Gesellschaft.  

 

Aufgaben anpassen. Startvoraussetzungen berücksichtigen.

Was können wir nun aus den beiden Beispielen mitnehmen? Ich bin überzeugt, dass Gleichberechtigung nicht erreicht wird, wenn alle Menschen – egal ob mit oder ohne Behinderung – zwangsläufig die gleichen Aufgaben im Leben erfüllen (müssen). Aufgaben, beispielsweise in der Arbeitswelt, sind an die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Menschen anzupassen. Gleichberechtigung wird dann erreicht, wenn die individuellen Startvoraussetzungen berücksichtigt werden. Es geht um die gleichen Chancen für unterschiedliche Menschen. Für Chancengleichheit sollten wir Barrieren abbauen. Wir sollten Unterschiede berücksichtigen, anerkennen und wertschätzen.

 

Inklusion bedeutet Heterogenität anerkennen.

Die Vision der Inklusion ist, genau dieser Vielfalt der Menschen möglichst gerecht zu werden. Das Ziel der Inklusion ist, allen Menschen Teilhabe in der Gesellschaft (sozial, wirtschaftlich und politisch) zu ermöglichen- ganz unabhängig von den individuellen Startvoraussetzungen. Die Lebenshilfe Österreich (hier) beschreibt Inklusion wie folgt: „Inklusion beschreibt, wie wir als Mitglieder der Gesellschaft leben möchten: In einem Miteinander, in dem keine Person ausgeschlossen wird. Jeder Mensch ist ein anerkannter Teil der Gesellschaft. Unabhängig von Herkunft, Behinderung, sexueller Orientierung oder Lebensalter. Alle Menschen sind verschieden. Die Gesellschaft profitiert von der Vielfalt der Einzelnen.“

 

Integration bedeutet Homogenität anstreben.

Integration geht von einem anderen Standpunkt als Inklusion aus. Die Integration sieht die Gesellschaft mehr oder weniger als homogene Masse. Fernab dieser einheitlichen Masse gibt es Menschen, die der Idealvorstellung wenig bis gar nicht entsprechen. Das Ziel der Integration ist, die Personen in die bestehende Mehrheitsgesellschaft einzugliedern. „Integration zielt auf die persönliche Anpassungsleistung des zu integrierenden Menschen. Das System selbst (Schule, Arbeit, Vereine…) ändert sich nur wenig“, beschreibt die Lebenshilfe Österreich (hier).

 

Integration und Inklusion.

Inklusion ist also nicht der neuere Begriff, oder gar der politisch korrektere Begriff für Integration. Die beiden Konzepte gehen von einem anderen Standpunkt aus. Verschiedene Grundhaltungen liegen zugrunde. Es liegt an uns, wie wir Menschen, Gesellschaften und die Welt betrachten. Dementsprechend gestalten wir.

 

Konnex zu den SDGs (Auswahl):

  • Das Motto der SDGs lautet "leave no one behind - lasse niemanden zurück"
  • SDG 3 „Gesundheit und Wohlergehen“ (Unterziel 3.8 Die allgemeine Gesundheitsversorgung für alle erreichen)
  • SDG 8 „Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum“ (Unterziel 8.5 produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle Frauen und Männer, einschließlich junger Menschen und Menschen mit Behinderungen)
  • SDG 10 „Weniger Ungleichheiten“ (Unterziel 10.2 alle Menschen unabhängig von Alter, Geschlecht, Behinderung, Rasse, Ethnizität, Herkunft, Religion oder wirtschaftlichem oder sonstigem Status zu Selbstbestimmung befähigen und ihre soziale, wirtschaftliche und politische Inklusion fördern)
  • SDG 11 „Nachhaltige Städte und Gemeinden“ (Unterziel 11.2 Den Zugang zu sicheren, bezahlbaren, zugänglichen und nachhaltigen Verkehrssystemen für alle ermöglichen, Unterziel 11.3 Die Verstädterung inklusiver und nachhaltiger gestalten)
  • SDG 16 „Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“ (Unterziel 16 b Nichtdiskriminierende Rechtsvorschriften und Politiken zugunsten einer nachhaltigen Entwicklung fördern und durchsetzen)

 

Hinweis: Wheelday. Entwicklung bewegt!“

Mit der Initiative "wheelday. Entwicklung bewegt!" möchte das Institut für Umwelt, Friede und Entwicklung (IUFE) auf die Situation und Anliegen von Menschen mit Behinderungen weltweit aufmerksam machen. Beim wheelday-Jugend-Wettbewerb 2022 werden Aktivitäten und Projekte, welche einen Beitrag zur Inklusion und Barrierefreiheit in Österreich und der Welt leisten. Teilnehmen können bis 12. September 2022 engagierte Einzelpersonen, Schulklassen, Vereine, Jugendgruppen und Organisationen. Die 17 SDGs (Ziele für nachhaltige Entwicklung) bilden den Rahmen. Details zum Wettbewerb: hier.

 

Zur Person: Josefine Tacha ist ausgebildete Sozialpädagogin. Aktuell arbeitet sie in einer Wohngemeinschaft für Erwachsene mit Behinderung und (ehrenamtlich) in einer Dauerherberge für alkoholkranke Obdachlose. Abgesehen von Menschen ist ihr die Natur wichtig. Daher geht sie gerne Wandern und Radfahren und studiert „Umweltbildung und Beratung“ auf der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik. Diese Serie entstand im Rahmen ihres Praktikums im IUFE im Frühjahr 2022.